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Eigenbrauer-Syndrom: Warum ein Belgier aus medizinischen Gründen freigesprochen wurde

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Die Indizien sprachen eindeutig gegen ihn. Verwaschene Sprache, unsicherer Gang - die Anzeichen für Trunkenheit am Steuer ließen sich kaum übersehen. Immer wieder wurde der 40-Jährige aus dem belgischen Brügge bei Kontrollen mit einem erhöhten Alkoholspiegel aus dem Verkehr gezogen; 2019 nahm man ihm deswegen für einige Zeit den Führerschein ab. Zudem arbeitet der Mann, dessen Identität anonym geblieben ist, angeblich in einer Brauerei, also direkt an der Quelle. Nachdem ihn die Polizei im April 2022 erneut rausgewinkt und zu hohe Promillewerte festgestellt hatte, wurde er diesmal angeklagt. Der Belgier wehrte sich gegen die Strafverfolgung - mit Erfolg. Am Montag wies das Gericht in Brügge die Klage mit einer ungewöhnlichen Begründung ab: Eine seltene Erkrankung habe demnach zu den erhöhten Alkoholspiegeln geführt, ohne dass der Mann etwas dafür konnte.

Erhöhte Alkoholspiegel in Blut und Atemluft ohne Alkoholkonsum? Klingt nach einer originellen Ausrede für muntere Zecher, deren Alkoholtest beim Blasen zu hohe Werte anzeigt. Klingt zudem danach, als ob die Polizei auf die Idee kommen könnte, genauer nachzuhaken, welcher Witzbold sich einen solchen Scherz erlaubt. Ist aber nicht lustig. Im aktuellen Fall wäre statt polizeilicher zudem medizinische Detektivarbeit angesagt, denn der 40-Jährige, der sich vor Gericht verantworten musste, leidet am äußerst seltenen Eigenbrauer-Syndrom. Er führt gleichsam seine körpereigene Destille mit sich, der Organismus gibt sich selbst einen aus - und das auch noch ungefragt.

Einen Grund zur Freude bietet das ebenso wenig wie die Aussicht auf feine Tropfen für den genussvollen Hausgebrauch. Im Englischen wird die Erkrankung als Auto-Brewery-Syndrome bezeichnet und als Gärungsstörung des Darms beschrieben. Ursache dafür ist eine Fehlbesiedlung des Verdauungstraktes mit Hefepilzen und Bakterien, die durch starke Gärungsprozesse vermehrt Alkohol produzieren. Eine kohlenhydratreiche Ernährung begünstigt den Prozess. Je nach Ausmaß der Störung können bei den Betroffenen leichte Symptome eines Rausches aber auch eine schwere Alkoholisierung mit Lallen, Torkeln und Filmriss die Folge sein.

Der gesunde Darm ist von Abermilliarden hilfreichen Bakterien besiedelt. Dieses Mikrobiom kann durch Antibiotika, ungünstige Ernährung und die entsprechende genetische Veranlagung so durcheinander geraten, dass Hefepilze und schädliche Bakterien überhandnehmen und den Verdauungstrakt in eine Brauerei verwandeln. Die durch den Gärungsprozess entstehenden Alkohole schädigen auf Dauer die Leber. Und die Betroffenen zahlen die Zeche - sie geraten mit allen Anzeichen der Trunkenheit unverschuldet immer wieder in unangenehme Situationen im Beruf, in der Freizeit und eben auch im Straßenverkehr.

In der Fachliteratur finden sich nur wenige Fälle des Eigenbrauer-Syndroms. Weil das Stoffwechselleiden so selten ist und den Betroffenen zunächst oft nicht geglaubt wird, könnte die Krankheit allerdings auch deutlich unterschätzt werden, vermuten Fachleute, auf die sich auch die Anwältin des Angeklagten berief. Der Mann aus Belgien hatte Gutachten und Laborbefunde von drei Ärzten aufgeboten, damit das Gericht seiner Argumentation folgte. Angeblich hat er selbst wenig Symptome verspürt, bis die Polizei ihn mit dem Vorwurf konfrontierte.

Die formale Bestätigung des Gerichtsurteils steht noch aus. Womöglich könnte sich der Belgier in medizinische Behandlung begeben. Um die körpereigene Brauerei trockenzulegen, wird eine kohlenhydratarme Kost empfohlen. Zudem kann mit einem Anti-Pilzmittel und ausgewogener Kost die Darmflora wieder ins Gleichgewicht gebracht werden. Danach hätte es der Mann wieder selbst in der Hand, über den Alkoholspiegel in seinem Körper zu bestimmen.

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