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Wahlrecht der Ampel-Koalition: Karlsruhe muss die vielen Stimmen wägen

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Bevor die Ampelkoalition ein neues Wahlrecht erließ, war das Parlament größer und größer geworden. Wie mühsam die Arbeit wird, wenn viele Menschen zusammenkommen, zeigte sich auch in Karlsruhe. Dort bescherte die Verhandlung zum Wahlrecht dem Verfassungsgericht ein so volles Haus wie selten. Allmählich bekomme man einen ganz unmittelbaren Eindruck davon, was es heiße, wenn viele zu Wort kommen wollten, sagte die Verfassungsrichterin Astrid Wallrabenstein am Mittwoch.

Auch der zweite Verhandlungstag war bis dahin schleppend vorangegangen. Lange ging es darum, dass das neue Wahlrecht eine Zweitstimmendeckelung vorsieht. Demnach bekommt eine Partei nur noch so viele Sitze, wie ihr nach Zweitstimmen zustehen. Es gibt weder Überhang- noch Ausgleichsmandate. Wer einen Wahlkreis gewinnt, zieht nicht automatisch in den Bundestag ein; er wird bei der Zuteilung der Plätze aber Listenkandidaten gegenüber bevorzugt.

„Auf null gesetzt"

Die bayerische Regierung, die CSU und die Unionsfraktion führten am Mittwoch aus, warum sie meinen, die Zweitstimmendeckelung verstoße gegen die Wahlgleichheit. Demnach muss jeder Wähler dieselbe Anzahl von Stimmen gleichen Gewichts haben, den gleichen Zählwert. Jede Stimme muss außerdem den gleichen Einfluss auf die Zusammensetzung des Parlaments haben, den gleichen Erfolgswert.

Der Staatsrechtler Markus Möstl trat für die Landesregierung auf. Indem der Einzug ins Parlament selbst für Wahlkreissieger vom Zweitstimmenergebnis abhänge, werde der Erfolgswert "da auf null gesetzt", wo das Zweitstimmenergebnis nicht reiche. Dadurch würden nicht nur Wahlkreisbewerber und deren Wähler ungleich behandelt, sondern auch die Parteien, die besonders viele Wahlkreise gewönnen.

Die Vertreter der Gegenseite sahen das anders. Es gehe um eine Zuteilungsregel, die für alle Bewerber gelte, hob Sophie Schönberger hervor. Die Staatsrechtlerin vertritt in Karlsruhe die Bundesregierung. Christoph Möllers, der für den Bundestag auftrat, sagte: Es gehe um politischen Wettbewerb, nicht um Ungleichbehandlung. Er vermute ein "eher emotionales Problem". Die Verfassungsrichterin Christine Langenfeld gab ebenfalls zu bedenken, dass ein neuer Zählmechanismus, der für alle gelte, noch keine Ungleichbehandlung bedeute. Auf Möstls Erwiderung, wonach die Regel gleich angewandt werde, aber zu unterschiedlichen Ergebnissen führe, stellte sie klar: "So ist das bei Wahlen."

Verstoß gegen die Unmittelbarkeit?

Die Kläger meinen außerdem, dass das neue Wahlrecht gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit verstoße. Er besagt, dass Wähler die Abgeordneten unmittelbar wählen, ohne dass etwa Wahlmänner dazwischengeschaltet sind. So etwas sieht das neue Wahlrecht nicht vor, wie Verfassungsrichter Thomas Offenloch klarstellte, woraufhin die CSU allerdings auf Transparenz verwies. Diese Anforderung werde aus dem Unmittelbarkeitsgrundsatz abgeleitet, argumentierte deren Vertreter Kyrill Schwarz. Es müsse erkennbar sein, wie sich die Erststimme auswirke. Offenloch schien auch hier kein Problem zu sehen. Er nannte das neue Wahlrecht "einfacher als das alte". Doris König, die Vorsitzende des Zweiten Senats und Vizepräsidentin des Gerichts, bezweifelte ebenfalls, dass "dem Wähler Sand in die Augen gestreut" werde.

Größeres Gewicht könnten die Richter der Integration des gesellschaftlichen Pluralismus beimessen, die Wahlen leisten sollen. Vor allem die Abschaffung der Grundmandatsklausel - wonach eine Partei auch dann in den Bundestag einzieht, wenn sie weniger als fünf Prozent, aber drei Direktmandate gewinnt - scheint insofern Skepsis hervorzurufen. Allein in Bayern würde ein großer Anteil von Stimmen unberücksichtigt bleiben, sollte die CSU bundesweit unter fünf Prozent fallen und trotz vieler gewonnener Wahlkreise nicht in den Bundestag einziehen.

Mehrere Richter übten daran am Mittwochnachmittag Kritik, besonders deutlich Christine Langenfeld. Die Abschaffung der Grundmandatsklausel führe möglicherweise dazu, "dass eine hocherfolgreiche Partei und die Strömung, die sie verkörpert", nicht im Parlament vertreten sein werde.

Entscheiden muss das Verfassungsgericht bald, denn schon am 27. Juni beginnen die Parteien, ihre Wahlkreisbewerber aufzustellen. Darauf hatte schon am Dienstag der Linken-Politiker Gregor Gysi hingewiesen. Auch der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz bat das Gericht, "relativ schnell" zu entscheiden. Dann könne der Bundestag noch vor der nächsten Wahl ein neues Gesetz beschließen. Nach den jahrelangen Auseinandersetzungen, die der jüngsten Reform vorausgegangen waren, wirkte das kühn.

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