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Japan ist der überraschende Top-Unterstützer für die Ukraine. Was das mit China zu tun hat

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Während in anderen Teilen der Welt über neue Unterstützung für Kiew debattiert wird, agiert Japan im Hintergrund als bedeutender Geldgeber und Wirtschaftspartner - verfolgt damit aber auch eigene Interessen.

Seit mehr als zwei Jahren tobt der Krieg Russlands gegen die Ukraine. Doch die Solidarität mit Kiew scheint zu schwinden: Der ukrainische Präsident Selenskyj fleht um Hilfe, im US-Repräsentantenhaus streiten Republikaner und Demokraten monatelang über weitere Militärhilfen für Kiew und der Vielleicht-Bald-Wieder-Präsident Donald Trump mokiert sich über zu wenig Unterstützung der Europäer. Immerhin bezeichnete er jüngst das "Überleben der Ukraine" als wichtig für die USA.

Während in den USA und Europa über neue finanzielle und militärische Hilfe für die Ukraine debattiert wird, hat sich im Hintergrund ein Land ohne großes Aufsehen zum bedeutenden Ukraine-Helfer aufgeschwungen: Japan.

Auf der Liste der größten Geldgeber der Ukraine rangiert die ostasiatische Inselnation auf Platz 7. Sieht man von den USA und den europäischen Staaten ab, ist Japan sogar der größte Unterstützer, zeigt der "Ukraine Support Tracker" des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW). Die staatlichen Hilfszusagen belaufen sich demnach auf mehr als 7,5 Milliarden Euro, wovon rund 5,6 Milliarden Euro Finanzhilfen und der Rest humanitäre Hilfe sind.

Japanische Patriots durch die Hintertür

Das ukrainische Finanzministerium gibt an, dass Japan 2023 sogar der drittgrößte Geber von Finanzhilfen für die Ukraine war, mit 3,7 Milliarden US-Dollar an konzessionärer Finanzierung und Zuschüssen. Japan liefert aber auch materielle Unterstützung wie Stromgeneratoren, Landminendetektoren und Rundfunkausrüstungen an die Ukraine. Zudem behandelt Japan ukrainische Verwundete und verhängt Sanktionen gegen Russland und Belarus.

Panzer oder Raketen liefert Tokio aus historischen Gründen nicht direkt an die Ukraine. Japan hat seit Ende des Zweiten Weltkriegs eine pazifistische Verfassung. Es gäbe viel Widerstand, wenn Japan Waffen an die Ukraine liefern würde, sagt die Politikwissenschaftlerin und Japan-Expertin Dr. Alexandra Sakaki von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) dem stern.

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Doch auch hier gibt es Mittel und Wege, das zu umgehen. So wurden Patriot-Abwehrraketen, die Japan in Lizenz von den Amerikanern herstellt, in die USA exportiert - allerdings mit dem klaren Hinweis, dass sie nicht an die Ukrainer geliefert werden dürfen. "De facto ist das aber eine gewisse Unterstützung für die Ukraine, weil die USA damit ihre Munitionsbestände, die durch die Lieferungen an die Ukraine geschrumpft sind, wieder etwas auffüllen können." Moskau hat Tokio inzwischen vor einem solchen Schritt gewarnt.

Japans Angst: Die Ukraine als Blaupause für China

Die japanische Hilfe für die Ukraine konzentriert sich aber vor allem auf wirtschaftliche Unterstützung und spielt eine wichtige Rolle beim Wiederaufbau des Landes.

© Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP)

Dr. Alexandra Sakaki ist seit Januar 2012 bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) tätig und stellvertretende Forschungsgruppenleiterin Asien. Zu ihren Schwerpunkten gehört die Rolle Japans im internationalen System, insbesondere Japan als sicherheitspolitischer Akteur in Nordostasien.

Dies betonte auch der japanische Premierminister Kishida Fumio im Februar auf einer Konferenz zum Wiederaufbau der Ukraine: "Wir werden die Ukraine auch bei ihren Bemühungen unterstützen, das Leben der Menschen wieder aufzubauen und neue Industrien zu schaffen, indem wir verschiedene Maßnahmen ergreifen, um die wirtschaftlichen Grundlagen des Landes zu schaffen." Dies werde die gesamte Wirtschaft des kriegszerstörten Landes stärken. Japan ist dabei in gewisser Weise auch ein Vorbild für die Ukrainer: Das Land war nach dem Zweiten Weltkrieg zerstört und musste sich neu aufbauen. Heute gehört Japan zu den stärksten Wirtschaftsnationen der Welt.

Doch die Regierung in Tokio hat bei ihrer starken Unterstützung für die Ukraine auch einen Hintergedanken - und der liegt in der unmittelbaren Nachbarschaft. "Man befürchtet, dass ein Erfolg Russlands in der Ukraine China ermutigen könnte, in Asien ähnlich vorzugehen", erklärt Sakaki. In den vergangenen Jahren habe China versucht, seine Interessen in der Region mit so genannten Grauzonen-Taktiken durchzusetzen. Japan befürchte aber ein noch aggressiveres Vorgehen, etwa im Südchinesischen Meer oder in Taiwan.

Japan hat seinen "Zeitenwende"-Moment

"Taiwan ist geografisch nicht weit von Japan entfernt. Wenn China Taiwan angreifen würde, wäre Japan also auch militärisch betroffen. Auch deshalb, weil die USA, wenn sie militärisch eingreifen wollten, auf ihre Stützpunkte in Japan angewiesen wären. Diese stünden dann natürlich auch im Fokus möglicher Schläge der Chinesen."

Ein direkter Angriff Chinas auf Japan sei aber unwahrscheinlich, meint Sakaki, auch wenn China Japans Kontrolle über die Senkaku-Inseln im Ostchinesischen Meer in Frage stelle. Tokio habe mit den USA einen Garanten für die Sicherheit des Landes an seiner Seite.

Doch der russische Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 hat in Japan sicherheits- und verteidigungspolitisch vieles ins Rutschen gebracht: Japan hat eine neue nationale Sicherheitsstrategie, Verteidigungsstrategie und eine Erhöhung des Verteidigungsbudgets beschlossen. "Das sind sehr große und bedeutsame Schritte, wenn man bedenkt, wie die japanische Sicherheitspolitik bisher aufgestellt war", ordnet Politikwissenschaftlerin Sakaki ein. Jahrelang seien bestimmte Prinzipien - wie die bisherige Deckelung der Verteidigungsausgaben - kaum angetastet worden, obwohl sich das Sicherheitsumfeld Japans mit Staaten wie Nordkorea und China immer schneller verschlechtert habe. Der 24. Februar war also auch ein "Zeitenwende"-Moment für die Japaner.

"Es gibt viele Parallelen zwischen der deutschen und der japanischen Reaktion auf den russischen Angriff auf die Ukraine. Die Rhetorik von Premierminister Kishida zur Sicherheitslage in der Welt erinnert sehr stark an das, was auch Olaf Scholz in seiner Zeitenwende-Rede gesagt hat. Dass wir uns in einem neuen Zeitalter befinden und uns neu aufstellen müssen. Diesen Diskurs gibt es auch in Japan", sagt Sakaki.

"Die Ukraine von heute kann das Ostasien von morgen sein"

Das zeigt sich auch in den japanisch-russischen Beziehungen. Vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine vor mehr als zwei Jahren war Japan noch um ein gutes Verhältnis zu Moskau bemüht. Vor allem unter dem damaligen Premierminister Abe Shinzo, der ein persönliches Verhältnis zu Wladimir Putin pflegte. Jetzt herrscht Eiszeit.

Hinter der Annäherungspolitik standen zwei Hoffnungen, erklärt Sakaki: ein Kompromiss über die vier Kurilen-Inseln, die unter russischer Verwaltung stehen, aber auch von Japan beansprucht werden. "In diesem Zusammenhang hoffte Japan auch auf einen Friedensvertrag, der seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs immer noch aussteht."

Die Kurilen liegen nordöstlich der japanischen Insel Hokkaido. Russland hat dort seine Militärpräsenz in den letzten Jahren ausgebaut. Es könnte diesen Trend angesichts der japanischen Unterstützung für die Ukraine weiter verstärken, so Sakaki. Die Lage dort sei zwar angespannt, aber Japan rechne nicht mit einem russischen Angriff von dort. Eher werde es beim Status quo bleiben.

"Eine andere Hoffnung war, Russland als Gegengewicht zu China zu gewinnen. Japan hat versucht, möglichst viele Länder dazu zu bringen, eine kritische Masse gegen das übermächtige China zu bilden. Der Angriff auf die Ukraine hat das zunichte gemacht - auch weil der Krieg Russland in die Arme Chinas getrieben hat."

Und genau deshalb will Japan auf keinen Fall, dass Russland mit seinem Krieg Erfolg hat. Denn sonst könnten sich Moskaus Freunde, die Atommächte China und Nordkorea, ermutigt fühlen, ebenfalls ein Nachbarland anzugreifen. Genau deshalb warnte Kishida: "Die Ukraine von heute kann das Ostasien von morgen sein."

Quellen: Regierung Japans, Japans Botschaft in Deutschland, Finanzministerium der Ukraine,IfWKiel, United Nations Development Programme, Konrad Adenauer Stiftung, Nachrichtenagenturen AP, Kyodo und Reuters, "Internationale Politik", "Le Monde", ZDF, "Mainichi Shimbun", "Asahi Shimbun", "taz", Euronews, Deutsche Welle.

 

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