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Gewerkschaft triumphiert bei Volkswagen in den USA

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Im dritten Anlauf hat es geklappt: Die Gewerkschaft United Auto Workers wird im Volkswagen-Werk in Chattanooga im US-Bundesstaat Tennessee einziehen. Wie am Freitagabend amerikanischer Ortszeit bekannt wurde, stimmte eine klare Mehrheit der Mitarbeiter in der Fabrik für eine Vertretung durch die Organisation.

Das Votum hat eine historische Dimension: Die UAW bekommt damit jenseits ihres angestammten Reviers bei den sogenannten Big Three - General Motors, Ford und Stellantis - einen Fuß in der Tür. Dies gelang ihr im traditionell gewerkschaftsfeindlichen Süden der USA, wo in den vergangenen Jahrzehnten viele Autohersteller Produktionsstätten angesiedelt haben, gerade auch weil sie meinten, sich dort nicht mit Gewerkschaften auseinandersetzen zu müssen.

Die UAW gibt diesem Erfolg Signalwirkung. Ihr Präsident Shawn Fain sagte im Vorfeld gegenüber der Zeitschrift „The Nation", wenn VW als „erster Dominostein" falle, dann würden sich „die Schleusen öffnen". Tatsächlich ist schon die nächste Abstimmung angesetzt. Vom 13. bis 17. Mai sollen die Beschäftigten des Werks von Mercedes-Benz in Tuscaloosa (Alabama) über einen Einzug der UAW abstimmen.

Gewerkschaft bekam fast drei Viertel der Stimmen

Die Gewerkschaft bemüht sich auch, die Mitarbeiter des Werks von BMW in Spartanburg (South Carolina) zu organisieren, ist damit aber noch nicht so weit wie bei den anderen beiden deutschen Herstellern. Auch den Elektroautohersteller Tesla hat die UAW im Visier. Dessen Vorstandschef Elon Musk ist für eine besonders gewerkschaftskritische Haltung bekannt und dürfte mit Vehemenz gegen einen Einzug der UAW in seine amerikanischen Werke kämpfen.

In Chattanooga, wo VW das Elektroauto ID.4 und den sportlichen Geländewagen Atlas fertigt, waren rund 4300 Mitarbeiter stimmberechtigt. Von denjenigen, die wählten, sprachen sich 2628 für eine Vertretung durch die UAW aus und nur 985 dagegen, die Gewerkschaft bekam also fast drei Viertel der Stimmen. Schon 2014 und 2019 gab in der Fabrik Abstimmungen über eine gewerkschaftliche Vertretung, in beiden Fällen votierte eine knappe Mehrheit dagegen.

Die Ausgangslage für die UAW war diesmal aber um einiges besser, weil sie auf handfeste Erfolge verweisen konnte. In ihren jüngsten Tarifverhandlungen mit GM, Ford und Stellantis hat sie nach einem Kampf mit harten Bandagen viel für ihre Mitglieder herausgeholt. Sie bestreikte die drei Hersteller sechs Wochen lang, am Ende rang sie ihnen Lohnerhöhungen von 25 Prozent über einen Zeitraum von vier Jahren ab. Nach ihren eigenen Angaben hat sie damit in einer einzigen Verhandlungsrunde alle Tarifgespräche zwischen 2001 und 2022 übertroffen, die zusammengerechnet Lohnsteigerungen um 23 Prozent gebracht hätten.

Viele Autohersteller, in denen die UAW nicht vertreten ist, haben nach dieser Tarifrunde selbst ihre Löhne deutlich erhöht, was von Beobachtern als Versuch gewertet wurde, etwaigen Gewerkschaftskampagnen den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Große Symbolik für VW

Das Abstimmungsergebnis in Chattanooga hat auch für VW große Symbolik. Das Werk gilt bislang als einziger der 114 Standorte auf der ganzen Welt ohne Belegschaftsvertretung. Offiziell hat sich der Hersteller mit Blick auf die Abstimmung neutral gegeben und gesagt, er respektiere das Recht seiner Mitarbeiter auf einen „demokratischen Prozess".

Hinter vorgehaltener Hand machten aber auch in Wolfsburg manche Konzernvertreter deutlich, dass sie die US-Gewerkschaft mit gemischten Gefühlen sehen. Die UAW hat dem Hersteller sogar vorgeworfen, illegale Methoden einzusetzen und sogenanntes „Union Busting" zu betreiben, um die Gewerkschaft fernzuhalten. Sie hat bei der Arbeitsbehörde NLRB eine entsprechende Beschwerde eingereicht. VW hat die Vorwürfe zurückgewiesen.

VW bestätigte am Freitag das Wahlergebnis und sagte, nun die Zertifizierung durch die Arbeitsbehörde National Labor Relations Board (NLRB) abwarten zu wollen. Die UAW dürfte nach dem Wahlerfolg schnell versuchen, ihre Agenda bei VW umzusetzen. Einer der Anführer der Gewerkschaftskampagne hatte der F.A.Z. vor der Abstimmung gesagt, schon für den Sonntag sei das erste Treffen angesetzt, um Details für künftige Tarifverhandlungen zu besprechen.

Wie schon bei den ersten Abstimmungen sah sich die Gewerkschaft auch diesmal der Opposition von einheimischen Politikern gegenüber. Bill Lee, der Gouverneur von Tennessee, hat vor wenigen sogar eine gemeinsame Stellungnahme mit fünf Kollegen aus anderen südlichen Bundesstaaten herausgegeben, allesamt von der traditionell gewerkschaftskritischeren Republikanischen Partei.

Die Gouverneure sagten, sie seien „höchst besorgt" über die UAW-Kampagne, und sie warfen der Gewerkschaft vor, mit „Falschinformationen und Angsttaktiken" zu arbeiten. Eine gewerkschaftliche Vertretung würde Arbeitsplätze in den Bundesstaaten gefährden. Im Übrigen scheine die UAW mehr daran interessiert zu sein, Joe Biden zur Wiederwahl als US-Präsident zu verhelfen, als Arbeitsplätze zu retten.

Während Lokalpolitiker Widerstand leisteten, konnte sich die UAW bei der Abstimmung in Chattanooga der Sympathien aus dem Weißen Haus sicher sein. Biden hat den VW-Mitarbeitern im März ausdrücklich gratuliert, als sie im März bei der Arbeitsbehörde den Wahlantrag einreichten. Der Präsident versteht sich als „Union Guy", also als Gewerkschaftsmann, er war auch bei den Streiks im vergangenen Herbst vor Ort, um die Gewerkschaft zu unterstützen.

Als UAW-Chef Fain vor wenigen Tagen von der Zeitschrift „Time" zu einer der 100 einflussreichsten Personen dises Jahres erklärt wurde, schrieb Biden dazu einen Artikel. Darin nannte er die von der UAW herausgeholten Lohnerhöhungen im vergangenen Jahr als „historisch", und er sagte: „Wenn Gewerkschaften gewinnen, nützt das allen Mitarbeitern."

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