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Nahost: Der UNRWA-Bericht ignoriert den Kern des Problems

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Kaum überraschend hat eine Expertenkommission das Palästinahilfswerk teilweise von den schweren Vorwürfen Israels entlastet. Sie ignoriert den Kern des Problems.

Mehlsäcke mit dem UNRWA-Logo: Die Hilfsorganisation liefert humanitäre Hilfsgüter in den Gazastreifen.

Mohammed Salem / Reuters

Die Ergebnisse des Berichts der Untersuchungskommission zum Palästinahilfswerk UNRWA waren so erwartbar wie die Reaktionen, die am Montag auf dessen Veröffentlichung folgten: Von palästinensischer Seite erklang Triumphgeheul, als wäre der Organisation von höchster Instanz endgültig eine weisse Weste bescheinigt worden. Die israelische Seite diskreditierte derweil sowohl den Bericht als auch die Kommission als parteiisch und verblendet. Die UNRWA sei «ein vergifteter und verfaulter Baum, dessen Wurzeln die Hamas» sei, hiess es in einer Erklärung des israelischen Aussenministeriums. Die Wahrheit ist, wie so oft im Nahen Osten, deutlich komplexer.

Uno-Generalsekretär António Guterres hatte die Untersuchung in Auftrag gegeben, nachdem Israel mehrere UNRWA-Mitarbeiter beschuldigt hatte, sich am Hamas-Massaker vom 7. Oktober beteiligt zu haben. Später doppelte Israel nach und behauptete, bis zu 12 Prozent der 13 000 UNRWA-Angestellten in Gaza hätten Verbindungen zu Terrororganisationen. Der Bericht kommt nun zu dem Schluss, dass Israel Beweise für diese Vorwürfe weitgehend schuldig geblieben sei.

Dennoch merkte die Expertengruppe um die ehemalige französische Aussenministerin Catherine Colonna an, dass in Bezug auf die Neutralität der UNRWA Verbesserungspotenzial bestehe. So müsse das Hilfswerk seine Mitarbeiter besser überprüfen, das gelte ebenso für problematische Inhalte in Schulbüchern. Für diese Erkenntnisse hätte es allerdings keine Kommission gebraucht - die Probleme sind längst bekannt. Dennoch versicherte Guterres, man werde die Vorschläge im Bericht rasch umsetzen.

Ein Anachronismus im Nahen Osten

Wird nun alles gut? Wohl kaum. Womöglich wird der Bericht manchen Geberländern als Vorwand dienen, die im vergangenen Jahr suspendierte Finanzierung wiederaufzunehmen. Derweil wird Israel seine Kampagne gegen das Hilfswerk fortführen. Selbst wenn die empfohlenen Massnahmen umgesetzt werden, sind sie nicht viel mehr als Kosmetik. Denn der Colonna-Bericht zielt am Kern der Sache vorbei: Die UNRWA ist ein Teil des Problems im Nahen Osten, ein Anachronismus, der allen Konfliktparteien dazu dient, eine unhaltbare Lage zu perpetuieren.

Das Hilfswerk ist fast so alt wie der Nahostkonflikt selbst: Es wurde 1949 als temporäre Lösung ins Leben gerufen, um die 750 000 Palästinenser zu versorgen, die im Zuge der Staatsgründung Israels geflohen oder vertrieben worden waren und denen das Recht auf Rückkehr versprochen wurde. Heute ist die UNRWA für 5,9 Millionen Personen im Gazastreifen, im Westjordanland, in Jordanien, Libanon und Syrien zuständig. 30 000 überwiegend palästinensische Mitarbeiter betreiben Schulen, Spitäler und Berufsbildungszentren oder liefern humanitäre Güter.

Keine Frage: Die UNRWA leistet wichtige Arbeit. Ohne sie würde Hunderttausenden von Menschen die Lebensgrundlage entzogen. Im verwüsteten Gazastreifen ist das humanitäre Engagement des Hilfswerks zumindest für die Dauer des Krieges unentbehrlich. Wieso also sollte man sie abschaffen, wie das von manchen nun immer lauter gefordert wird?

Ein Symptom, nicht die Ursache

Die Frage muss vielmehr lauten: Wem dient die UNRWA? Den palästinensischen Flüchtlingen und ihren Nachkommen dient sie nur vordergründig, denn sie hat sie in eine scheinbar ewige Abhängigkeit gedrängt. Vielmehr dient sie den Konfliktparteien - Israel, der Hamas, der palästinensischen Führung, den arabischen Nachbarländern -, die sich dank dem Hilfswerk der Verantwortung entziehen können, eine Lebensgrundlage für diese Menschen zu schaffen und vor allem eine dauerhafte und gangbare Lösung für die verfahrene Lage im Nahen Osten zu finden.

Die UNRWA ist nicht die Ursache des Problems, sondern lediglich ein Symptom. Schafft man sie ab, ist weder die Flüchtlingsfrage im Nahen Osten gelöst, wie sich das manche erhoffen, noch sind die Bedürfnisse der Flüchtlinge gestillt. Ersetzt man sie durch eine neue Organisation, wird diese im selben von Antisemitismus, Islamismus und Korruption durchsetzten Raum tätig sein - schnell entstünden neue Probleme.

Es braucht neue, dezentrale Ansätze, die wirkliche Perspektiven bieten. Ein Neustart kann aber nur dann nachhaltig sein, wenn er im Rahmen einer von Realitätssinn und Pragmatismus geleiteten Lösung des Nahostkonflikts aufgegleist wird. Die Vorzeichen dafür stehen schlecht -daran ändert auch der Colonna-Bericht nichts.

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