Original source (on modern site)
Die EU-Kommission hat TikTok ein Ultimatum gesetzt. Es geht um die neue App TikTok Lite und deren umstrittenes Belohnungsprogramm. Die wichtigsten Fragen
23. April 2024, 15:50 Uhr
TikTok hat es derzeit nicht leicht. In den USA droht
ein Verbot, das Repräsentantenhaus hat dem
chinesischen Eigentümer ByteDance ein Ultimatum gestellt: Binnen
sechs Monaten muss der Konzern die App verkaufen, ansonsten droht der
Rauswurf aus den US-amerikanischen App-Stores. Auch in Europa steht
die Plattform unter Druck. Am Montag hat die
Europäische Kommission ein Verfahren - bereits das zweite -
gegen
ByteDance eingeleitet. Dabei geht es um den neuen Dienst TikTok
Lite und um mögliche Verstöße gegen den Jugendschutz. Die
Antworten auf die wichtigsten Fragen:
TikTok Lite ist eine
Schwester-App von TikTok. Nach einer Veröffentlichung in einigen asiatischen Ländern wurde sie in der EU Mitte April zunächst in
Frankreich und Spanien eingeführt, in Deutschland ist sie noch nicht
verfügbar. Das "Lite" im Namen bezieht sich darauf, dass
die App weniger Datenvolumen verbraucht und weniger Speicherplatz
benötigt. Die eigentliche Besonderheit ist aber ein in der App
integriertes Belohnungssystem: Wer Videos in TikTok Lite anschaut,
Freunde einlädt und Likes verteilt, erhält dafür Punkte. Diese
lassen sich wiederum in digitale Münzen umwandeln und gegen
Gutscheine umtauschen, etwa für Amazon und weitere Onlinehändler.
Die Nutzung dieses Punkteprogramms ist offiziell erst ab
18 Jahren erlaubt. Videos ansehen und
dafür belohnt werden: Diese Kombination sieht die EU-Kommission
kritisch. "Macht Social Media 'lite' genauso süchtig und ist es genauso schädlich wie
Zigaretten 'light'?", fragte
der EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton kurz nach dem Start
von TikTok Lite auf X. Die Nutzerinnen und Nutzer könnten dazu
verleitet werden, immer mehr Zeit in der App zu verbringen, um immer
mehr Punkte zu sammeln, was wiederum Suchteffekte verstärken könnte.
Man vermute "negative Auswirkungen auf die psychische
Gesundheit, einschließlich der psychischen Gesundheit von
Minderjährigen, insbesondere durch die neue Funktion, die Suchtverhalten fördert", heißt es in
einer Erklärung der EU-Kommission.
Zum Anschauen benötigen wir Ihre Zustimmung Wie immer, wenn es um
Suchteffekte von Social-Media-Plattformen geht, lässt sich das nicht
eindeutig beantworten. Gemessen an der Bildschirmzeit
ist TikTok Erhebungen
des Analyseunternehmens Sensor Tower zufolge mittlerweile die weltweit erfolgreichste Social-Media-App. 95 Minuten verbringen die Nutzerinnen und Nutzer täglich durchschnittlich mit TikTok, fast doppelt so viel
wie mit Instagram. Gleichzeitig steht die App unter anderem in der
Kritik, unrealistische
Schönheitsideale zu fördern, gesundheitsschädliche
Challenges (PDF) zu verbreiten und Depressionen
bei Teenagern zu verstärken.
Studien, unter
anderem von
der Freien Universität Berlin, haben in der Vergangenheit
gezeigt, dass viele Smartphone-Apps das Belohnungszentrum des Gehirns
aktivieren, vor allem dann, wenn es um schnelle, sofortige
Belohnungen geht. Nimmt man, wie im Fall von TikTok Lite, noch den
Aspekt dazu, dass die Nutzerinnen und Nutzer für verstärkte Nutzung
mit einem Geldwert in Form von Gutscheinen belohnt werden, ließe
sich argumentieren, dass es zumindest bei einem Teil der Nutzenden zu
Suchteffekten kommen könnte. Konkrete Studien am Beispiel von TikTok
Lite gibt es noch nicht.
Am 17. April
forderte
die EU-Kommission ByteDance auf, eine Risikobewertung im Sinne
des im Februar in Kraft getretenen Digital Services Act (DSA)
nachzuliefern. Dieser legt Onlinediensten strengere
Regeln auf. Dazu gehört, dass "sehr große
Onlineplattformen" wie TikTok jährlich eine Abschätzung
hinsichtlich "systemischer Risiken" abgeben müssen. Zu
diesen Risiken zählen "negative Folgen für das körperliche
und geistige Wohlbefinden", wie
es im Gesetzestext heißt.
ByteDance ist der
Forderung im Hinblick auf TikTok Lite bislang nicht nachkommen,
weshalb die Kommission am Montag offiziell ein Verfahren eröffnet
hat. Bis Dienstag hat der Konzern Zeit, die Bewertung nachzuliefern.
Sollte ByteDance
nicht fristgemäß reagieren, könnte die EU-Kommission Strafen in
Höhe von bis zu einem Prozent des weltweiten jährlichen Gewinns von
TikTok verhängen. Wie hoch der Gewinn ist, veröffentlicht der privat geführte Konzern nicht. Berichten der Financial Times zufolge soll der Umsatz des Konzerns im vergangenen Jahr bei rund 120 Milliarden US-Dollar gelegen haben. Zudem behält sich die Kommission vor, TikTok Lite
beziehungsweise das Belohnungssystem der App ab Donnerstag
vorübergehend in den Mitgliedsstaaten zu verbieten, wobei die App
aber, wie erwähnt, bislang ohnehin nur in Frankreich und Spanien
verfügbar ist. TikTok teilte
am Montag mit, dass man über die Entscheidung der
EU-Kommission enttäuscht sei: "Der TikTok-Lite-Belohnungshub
ist für unter 18-Jährige nicht verfügbar und es gibt ein tägliches
Limit hinsichtlich der Videos, für die man belohnt wird." Man
werde die Gespräche mit der Kommission fortsetzen. In der Vergangenheit betonte das Unternehmen, dass "ein Vorreiter bei der Entwicklung von Funktionen und
Einstellungen zum Schutz von Teenagern" sei. Die jetzige
Untersuchung von TikTok ist bereits die zweite der EU-Kommission in
diesem Jahr. Schon im Februar hatte sie ein
Verfahren eröffnet, in dem es unter anderem um den mangelnden
Schutz von Minderjährigen geht. Der Vorwurf: TikTok tue nicht genug
gegen die Verbreitung illegaler Inhalte, zudem fördere die App aufgrund ihres
Designs womöglich "Verhaltenssüchte" und
"Kaninchenbaueffekte". Außerdem habe TikTok keine
Mechanismen, um zuverlässig das Alter seiner Nutzenden zu überprüfen
- ein Punkt, der auch in der Debatte um TikTok Lite wichtig werden
könnte. TikTok müsste beweisen, dass es ausreichend überprüft, ob die Belohnungsfunktion nicht doch von Minderjährigen genutzt wird.
Alle Fragen im Überblick:
Was ist TikTok Lite?
Was ist die Kritik an TikTok Lite?
An dieser Stelle ist ein externer Inhalt eingebunden
Macht TikTok Lite süchtig?
Was fordert die EU-Kommission von TikTok?
Welche Strafen drohen TikTok?
Was sagt TikTok?
Worum geht es im älteren Verfahren gegen TikTok?