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Gysi verteidigt „Letzte Generation" vor Gericht: Ich kann die Wut der Autofahrer verstehen, aber...

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Der Prozess im Saal 101 des Amtsgerichts Tiergarten beginnt mit Tränen des Angeklagten. Lukas P. wird vorgeworfen, er habe sich als Mitglied der „Letzten Generation" an Straßenblockaden in Berlin beteiligt. Das Interesse der Medien ist groß an diesem Mittwochmittag, und das liegt am Anwalt des Klimaaktivisten: Neben P. sitzt kein Geringerer als die Linken-Ikone Gregor Gysi.

Immer wieder muss der 24-jährige Student aus Hamburg seine Ausführungen unterbrechen. Er nimmt dann einen Schluck aus seiner Thermoskanne, schnäuzt sich die Nase oder wischt seine Tränen weg. Ja, er sei an den genannten Tagen auf der Straße gewesen. Er habe protestiert.

Allerdings, sagt Lukas P., habe er das „schweren Herzens" getan. Er hätte nie gedacht, dass er eines Tages Menschen behindern würde, weil er es für notwendig erachte. Doch seine Angst vor der Klimakrise sei groß, so groß, dass er es für richtig halte, sich einem friedlichen Protest anzuschließen. Er habe auch aus Sorge um Familie und Freunde gehandelt. Die Klimakrise betreffe jeden.

P. erzählt, dass er Chorleiter sei. Anstatt zu protestieren, würde er lieber musizieren oder sein Studium in Maschinenwesen beenden. Wieder bricht dem 24-Jährigen die Stimme. Richter Frank Triebeneck beugt sich nach vorn, wedelt mit Taschentüchern: „Herr Gysi, ich hab' hier auch." Der Anwalt folgt den Worten von Lukas P. fast regungslos, schaut hin und wieder auf die Zettel seines Mandanten.

Lukas P. entschuldigt sich bei Autofahrern

„Ich entschuldige mich bei den Menschen", sagt P. über die Autofahrer, die wegen der Straßenblockaden im Stau standen. „Nicht aber dafür, dass ich für den Erhalt unserer Gesellschaft und Lebensgrundlage demonstriert habe."

Die Staatsanwaltschaft wirft P. Nötigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte vor. Durch die Blockaden, bei denen er sich mit Sekundenkleber auf dem Asphalt festgeklebt habe, sei es teils zu erheblichen Staus gekommen. Auch lautet die Anklage auf Hausfriedensbruch: Am 15. Februar soll sich der 24-Jährige gemeinsam mit anderen Aktivisten Zugang zu einem Vorraum des Bundesjustizministeriums verschafft haben. Der Staatsanwalt, der acht Straßenblockaden aufzählt, fordert eine Geldstrafe von 110 Tagessätzen á 15 Euro.

Auftritt Gysi: Er könne die Wut der Autofahrer verstehen, sagt der Linke-Politiker. „Ich wäre genauso wütend." Dann aber verweist Gysi auf das gesellschaftliche Miteinander von älteren Menschen wie ihm und der jungen Generation: „Die sind in einer anderen Situation als wir", sagt der 74-Jährige. „Dieses Verhältnis managen wir als politische Elite grottenschlecht." Der Jugend gehe es ums eigene Überleben.

Aktivisten hatten Gysi im Bundestag besucht

Gysi hatte den Fall laut seiner Kanzlei angenommen, nachdem ihn einige Vertreter der „Letzten Generation" im Bundestag besucht hatten. Nach einem längeren Gespräch mit den Aktivisten habe er schließlich zugesagt, Lukas P. zu verteidigen.

Zur Verteidigung sagt Gysi, dass Nötigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte nach Strafgesetzbuch Gewalt oder zumindest die Androhung von Gewalt voraussetzten. Dies sei in den Anklagepunkten jedoch nicht gegeben - weder dann, wenn Aktivisten sich auf eine Straße setzten, noch in dem Fall, dass sie sich aus einem Ministerium hinaustragen ließen.

Gysi meint: Das Versammlungsrecht habe „Vorrang vor dem Recht, sich mit dem Auto irgendwo hinzubewegen". An Richter Triebeneck gewandt sagt er: „Sie sollten den Mut haben, den Angeklagten freizusprechen."

Gysi will in Berufung gehen - und zur Bundesregierung

Triebeneck aber sieht es anders als Gysi. Er sieht die Voraussetzung der Gewalt erfüllt. Dass P. nicht vorbestraft und zudem geständig sei, wirke sich mildernd auf das Urteil aus. Am Ende werden es 90 Tagessätze á 15 Euro für Lukas P., also 1350 Euro.

Schon beim Verlassen des Gerichtssaals kündigt Gysi an, dass er Berufung einlegen werde - „es geht hier um Grundfragen". Er habe das Urteil zwar erwartet, nennt es aber „nicht mutig". Dann eilt er hinaus, er müsse jetzt in den Bundestag.

Zuvor hatte der Linke-Politiker angekündigt, dass der Prozess ein politisches Nachspiel haben werde. Er wolle ihn nutzen, „um bei der Bundesregierung vorstellig zu werden, dass sie anders auf die junge Generation zugehen soll". Die „Alten" müssten lernen, den Jungen zuzuhören.

Auch in Gysis eigener Partei ist der Protest der „Letzten Generation" umstritten. Während der Vorsitzende Martin Schirdewan zuletzt Verständnis für die Aktivisten zeigte, bezeichnete die bekannteste Linke des Landes, Sahra Wagenknecht, die Aktionen als „destruktiv". Auch Zaklin Nastić, eine Verbündete von Wagenknecht, verurteilte die Proteste. „Wie wird dem Klima damit geholfen", fragte die Abgeordnete im Interview mit der Berliner Zeitung. „Damit erreichen diese Aktivisten ihren berechtigten Anliegen einen Bärendienst."

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